Auch ohne sichtbaren Bruch setzen Silikon-Brustimplantate Partikel frei, die eine Immunantwort auslösen und Marker aktivieren, die mit Autoimmunerkrankungen in Verbindung stehen. Dies zeigt eine bahnbrechende Studie eines interdisziplinären Teams aus Chemikern, Biologen und Medizinern, die in der Zeitschrift
Biomaterials veröffentlicht wurde.
Ergebnisse, die die Sicherheit dieser Implantate infrage stellen und eine Neubewertung der damit verbundenen Risiken fordern.
Seit ihrer Einführung im Jahr 1962 stehen Silikon-Brustimplantate im Mittelpunkt einer wissenschaftlichen Debatte. Offiziell von Gesundheitsbehörden als sicher eingestuft, werden sie jedoch regelmäßig mit verschiedenen Komplikationen in Verbindung gebracht, insbesondere mit Autoimmunerkrankungen und chronischen Entzündungsreaktionen.
Eine Studie von Wissenschaftlern des Institut de science des matériaux de Mulhouse (CNRS/Université de Haute Alsace), des CHU de Besançon und des Institut de génétique et de biologie moléculaire et cellulaire (CNRS/INSERM/Université de Strasbourg) hat diese Debatte nun neu entfacht.
Bereits bei der Implantation isoliert der Körper diesen Fremdkörper, indem er eine Gewebebarriere bildet, das sogenannte periprothetische Gewebe (einfacher gesagt, das Gewebe, das die Prothese umgibt). Es wurde eindeutig nachgewiesen, dass die Wand von Brustimplantaten keine vollständig dichte Barriere darstellt. Drei Quellen der Silikonfreisetzung in dieses Gewebe wurden identifiziert:
Die Erosion der Implantatoberfläche, die feste Mikropartikel erzeugt, die langsame Diffusion von Silikongel durch die Hülle, ein Phänomen, das als "Gel Bleed" bekannt ist, und schließlich Implantatbrüche, die manchmal asymptomatisch sind und große Mengen an Gel in den Körper freisetzen. Bisher fehlte der biologische Nachweis eines direkten Zusammenhangs zwischen der Silikonpräsenz und einer Immunantwort bei Patientinnen. Nun liegt dieser Nachweis vor – und die Ergebnisse sind eindeutig.
Die Wissenschaftler analysierten das periprothetische Gewebe von Patientinnen mit Implantaten, mit oder ohne Bruch. Sie fanden heraus, dass bereits die bloße Anwesenheit von Silikon im Gewebe – selbst ohne nachweisbaren Austritt – eine Aktivierung des Immunsystems auslöst. Die in der Studie untersuchten Gewebe zeigen Anzeichen chronischer Entzündungen. Die Forscher beobachteten eine Ansammlung von Makrophagen, jenen Immunzellen, die für die "Beseitigung" von Fremdkörpern zuständig sind. Da sie Silikon nicht abbauen können, sterben sie ab und setzen ihr Silikon frei, was eine Kettenreaktion und anhaltenden Immunstress auslöst.
Das Team führte zudem eine transkriptomische Analyse durch, also die Untersuchung der in den Zellen des Implantatumgebungsgewebes aktivierten Gene. Dabei wurde die Aktivierung mehrerer Gene festgestellt, die mit Autoimmunerkrankungen wie rheumatoider Arthritis, Lupus oder bestimmten chronischen Entzündungen in Verbindung stehen.
Die Intensität der Entzündungsreaktion hängt von der Textur des Implantats ab: Makrotexturierte Implantate mit rauerer Oberfläche lösen eine stärkere Immunantwort aus als mikrotexturierte oder glatte Modelle. Dies könnte erklären, warum bestimmte Implantatmarken häufiger mit Komplikationen wie dem anaplastischen großzelligen Lymphom, einer seltenen Form von Brustimplantat-assoziiertem Krebs, in Verbindung gebracht werden.
Diese in
Biomaterials veröffentlichten Ergebnisse stellen die Unbedenklichkeit von Silikonimplantaten infrage und unterstreichen die Notwendigkeit, deren Design und medizinische Überwachung zu überdenken. Bisher galten stille Brüche (also solche, die innerhalb der periprothetischen Gewebehülle eingeschlossen sind) als harmlos. Doch diese Studie liefert den biologischen Beweis, dass die Silikonexposition – selbst ohne sichtbare Symptome – langfristige Auswirkungen auf das Immunsystem haben könnte. Die Wissenschaftler fordern daher eine Neubewertung früherer klinischer Studien, um die gesundheitlichen Auswirkungen dieser Implantate besser zu verstehen.
Redakteur: AVR
Referenz:
Breast implant silicone exposure induces immunogenic response and autoimmune markers in human periprosthetic tissue
Isabelle Pluvy, Eve Randrianaridera b , Ismail Tahmaz, Martine Melin, Florelle Gindraux, Céline Keime, Arnaud Ponche, Tatiana Petithory, Laurent Pieuchot, Karine Anselme & Isabelle Brigaud.
Biomaterials 2025
https://doi.org/10.1016/j.biomaterials.2024.123025